Musiker, die Regime stürzen

Julia Amberger

Senegals Rapper gelten seit Ende der 80er-Jahre als Vorreiter des politischen Hip-Hop in Afrika. 2000 trugen sie zum Sturz des 30 Jahre alten sozialistischen Systems bei. Auch jetzt mobilisieren sie wieder – vor der Präsidentschaftswahl am Sonntag.

Durch die staubigen Straßen der Kleinstadt Mbours rollt ein Soundsystem. Montiert auf einem Jeep.

Drei Männer mit Wollmützen und Baggyjeans lehnen an den Boxen auf dem Dach und rappen. In einer Kurve kippt das Fahrzeug beinahe um. Kab, 36 Jahre, springt gerade noch rechtzeitig hinunter in eine Schar an Begleitern, die neben dem Soundsystem herlaufen. Alle rappen den Song „Pareel“, der auch auf ihren Shirts steht. Damit wollen sie die Menschen hier an der Westküste des Senegals überzeugen, am 24. Februar einen neuen Präsidenten zu wählen.

„Pareel bedeutet soviel wie: Besorgt euch euren Wahlschein, den braucht man im Senegal zum Wählen. Aber das ist gar nicht so einfach. Man muss sich hier in Mbours ins Wahlregister einschreiben und den Schein in der Hauptstadt abholen, fast 100 Kilometer entfernt. Wenn Du faul bist, machst Du das nicht. Wir wollen die Menschen motivieren und das ganze politische System bestrafen.“

Kinder und Jugendliche haben Zettel in der Hand mit der Aufforderung einen Wahlschein zu holen. Die senegalesische Bevölkerung ist sehr jung, im Schnitt 18 Jahre. (Juila Amberger)

Die Rapper gehören zur Protestbewegung „Y’en a Marre“ – „Wir haben es satt“. Sie versammelt junge Leute, die genug haben von korrupten Netzwerken in Parteien und Regierung. Von diesen meist über 50-jährigen Politikern fühlen sie sich nicht vertreten. Ihre Beats und Parolen haben die Kraft, Regierungen zu stürzen. Es lag vor allem an der jungen, mit Hip-Hop sozialisierten Generation, dass im Jahr 2000 das 30 Jahre alte sozialistische System im Senegal weggefegt wurde, und später – 2012 – erging es ebenso dem 85-jährige Präsidenten Abdoulaye Wade.

Präsident geht gegen die Protestbewegung vor

„Sein Amtsnachfolger Macky Sall wollte uns ein Stück vom Kuchen abgeben. Er hat den Gebildeten unter uns Posten in der Regierung angeboten und gesagt: Ihr könnt doch nicht mit diesen Rappern abhängen. Er hat versucht, uns lächerlich zu machen. Aber wir haben sein Angebot abgelehnt. Wer Teil der Regierung wird, geht unter.“

In ihren Songs wiegeln die Rapper die Menschen gegen die Defekte der neuen Regierung auf: gegen Vetternwirtschaft, parteiliche Richter und Polizeigewalt. Deshalb geht Präsident Macky Sall gegen „Y’en a Marre“ vor. Er hat dem Verein, der die Aktivitäten der Rapper finanziert, die Genehmigung entzogen und so der Bewegung den Zugang zu Spendengeldern gekappt. Die jungen Senegalesen nehmen es gelassen: Dann zahlen sie Benzin und Leihgebühren an diesem Tag eben selbst.

„Wir haben es zwar geschafft, das alte Regime von Abdoulaye Wade zu stürzen, aber das System ist immer noch dasselbe. Deshalb führen wir unseren Kampf fort – für die Senegalesen und für unser Land.“

Seit Ende der 80er-Jahre gelten die senegalesischen Rapper als Vorreiter des politischen Hip-Hop in Afrika. Sie waren die ersten, die es gewagt haben, die Regierenden offen zu kritisieren – und sind heute Vorbilder einer Generation, die ausbricht aus der Opferrolle, die sich auflehnt gegen den Bau eines Kohlekraftwerks mitten in der Stadt oder gegen Maggi-Brühwürfel, mit denen Nestlé behauptet, die Mangelernährung in Westafrika zu bekämpfen.

Rapper vereinfachen Gesetze in ihren Songs

Ein kleines Musik-Studio, drei mal fünf Quadratmeter, in einem einfachen Familienhaus mitten in Dakar – Senegals Hauptstadt am Atlantik: Die Fenster sind mit der grün-gelb-roten Nationalflagge verhängt. An der Wand kleben Poster von afrikanischen Widerstandskämpfern.

Keyti, 43 Jahre, ein bedachter Mann mit akzentfreiem Französisch, beugt sich über seinen Monitor und sichtet Material für seine nächste Show. Zusammen mit dem Künstler Xuman, der nebenan wohnt, rappt er jede Woche die Nachrichten und stellt sie auf die Videoplattform YouTube. Seit 2013.

Rapper Keyti in seinem Studio des Journal Rappé. (Julia Amberger)

Keyti runzelt die Stirn und kritisiert, dass in dem Musikvideo, das er gerade auf dem Monitor hat, keine einzige Frau auftaucht. Es stammt von einem Rapper aus Mali, den er beauftragt hat, einen Song über die Radikalisierung von Jugendlichen zu schreiben. Das Video soll in seinem YouTube-Journal „Rappé“ laufen. Dort klagt Keyti auch über die Politik der Welthandelsorganisation und zeigt, wie der US-Präsident Donald Trump afrikanische Länder in die Enge treibt. Am meisten bekommen aber die hiesigen Herrscher ab.

„Unsere Politiker ruinieren die Zukunft von tausenden jungen Afrikanern. Wir müssen uns eingestehen, dass wir selbst daran schuld sind. Und unsere Verantwortung als Bürger wahrnehmen, vor allem jetzt, mitten im Wahlkampf. Denn genau die Menschen, denen diese Politiker gewisse Dinge vorenthalten, die strecken jetzt die Hand nach ihnen aus. Um ihre Wählerstimme für zehn oder 15 Euro zu verkaufen, für ein Stück Stoff, für einen Sack Reis.“

Leben unter der Armutsgrenze

Die Aufgabe, die Keyti und Xuman antreibt, ist enorm: Die Bevölkerung im Senegal ist sehr jung – im Schnitt gerade mal 18 Jahre. Und die Hälfte lebt unter der Armutsgrenze. Die Vereinten Nationen platzieren den Senegal in ihrem Wohlstands-Index der menschlichen Entwicklung auf Platz 164 von 189 Staaten. Aber Keity will auf keinen Fall alles schlechtreden.

„Dann würden die jungen Leute denken: Wenn sogar Xuman und Keyti sagen, es ist alles scheiße hier, dann müssen wir weg. Stattdessen wollen wir zeigen, dass es hier auch Menschen gibt, die weder Geld haben, noch einen einflussreichen Job, und trotzdem Verantwortung für gewisse Dinge übernehmen und etwas bewirken.“

Großer Youtube-Erfolg – auch in der Diaspora

Ihr Video-Journal „Rappé“ war 2011 die erste senegalesische Produktion auf YouTube. Weil sie keine Sponsoren auftreiben konnten, starteten Keyti und Xuman einfach auf eigene Faust. Mit steigenden Nutzerzahlen kamen weitere Anbieter dazu.

„Heute findet man auf Youtube senegalesische Serien, die jede Woche 500.000 Mal angesehen werden, auch in der Diaspora. Wir haben es geschafft, unsere eigene Lebenswelt abzubilden. Und was in den Medien gelungen ist, ist auch in der Erziehung möglich, im Gesundheitswesen, in der Wirtschaft. Warum sollten wir immer in französischen Supermarktketten einkaufen. Lasst uns stattdessen eigene Ketten entwickeln, mit denselben Qualitätsstandards wie ‚Auchan‘ oder ‚Casino‘. Das ist die Herausforderung, vor der wir heute stehen. Und deshalb machen wir das Journal ‚Rappé‘.

Heute wird das Journal Rappé von der „Open Society Initiative“ für Westafrika unterstützt – und manche Sendungen auch von der UNESCO. Die internationalen Organisationen haben erkannt, dass die Rapper meist mehr bewirken als ihre Entwicklungshelfer. Nicht nur mit Musik, viele engagieren sich auch im Sozialen.

Strukturen aufbauen, um die Jugendlichen aufzufangen

Ein Musikvideo-Dreh in Pikine, ein Ghetto von Dakar. Ein Jugendlicher mit Dreadlocks sitzt vor einer unverputzten Bauruine und rappt seine Strophe schon zum dritten Mal, aber Matador, 40 Jahre, sein Lehrer und Vorbild, ist immer noch nicht zufrieden.

Der Song handelt von Kindesentführungen hier in Pikine, deren Hintermänner die Polizei immer noch nicht kennt. Matador, ein drahtiger, ernster Typ, rappt seit 30 Jahren gegen das Nichtstun der Politik.

„Erst dachten wir, mit Macky Sall würde sich etwas ändern, er ist ein junger Präsident, gerade 57 Jahre. Aber bis jetzt hat er nichts für die Jugend im Senegal getan. Im Gegenteil, er hat sie enttäuscht und bringt noch mehr junge Leute dazu, das Land zu verlassen.“

Der Rapper Matador in seinem Kulturzentrum „Africulturban“. (Julia Amberger)

Matador stammt aus einem Vorort ein paar Kilometer weiter. 1998 nahmen er und seine Freunde ihr erstes Album auf. Ein paar Jahre später tourten sie gemeinsam durch Europa – Brüssel, München, Berlin. Seine Freunde waren begeistert und blieben einfach dort. Matador kehrte zurück. Alleine. Seitdem hat er eine Mission.

„Ich hab meine Freunde verloren und mir gesagt: Solange es keine professionelle Rap-Szene gibt, werden die Leute irgendwann aufhören, Musik zu machen, oder gehen. Von der Musik kann fast niemand im Senegal leben. Deshalb haben ein paar verbliebene Rapper und ich beschlossen, Strukturen aufzubauen, die die Jugendlichen auffangen. Damit sie sich ausbilden lassen und verstehen, dass Fotografie oder Tontechnik auch Berufe sind. Wir wollen diese Leute nicht verlieren.“

Rapper wollen Vorbild sein

Vor knapp zehn Jahren hat er in Pikine eine Hip-Hop-Akademie gegründet. Und zuvor: das Kulturzentrum „Africulturban“. Über 500 Frauen und Männern zwischen 16 und 20 Jahren hat er dort Break Dance, Filmproduktion, Musikauflegen und Tontechnik beigebracht. Die Reime, die Matador rappt, klingen aggressiv, aber:

„Unsere Aufgabe als Rapper ist es nicht nur, auf die Straße zu gehen und unsere Wut herauszubrüllen. Wir wollen die Zustände, in denen wir leben, verbessern und ein Vorbild sein. Wenn die Regierung nichts an unserer Lage ändert, dann machen wir es eben selbst.“

Matador will die Lücken füllen, die der Staat hinterlässt. Statt sich zu beklagen, sieht er darin eine Chance:

„Der Staat, das sind auch wir und wenn wir alles der Regierung überlassen, wenn sie alles bestimmt, dann ist das nicht unbedingt zu unserem Vorteil. Wir dürfen unsere Verantwortung als Bürger nicht abgeben und flüchten. Wir müssen bleiben, uns hier einsetzen und unser Land so gestalten, dass wir darin eine Zukunft sehen.“

Ursprünglich kritisierte „Y’en a Marre“ die Korruption

Zurück in Mbours. Es finster geworden. Die Karawane der Rapper geht langsamer. Vorbei an Schaulustigen, die vor ihren Häusern sitzen und Grüntee trinken – so stark, dass er eine Schaumkrone bildet. Simon, der Star der Karawane, ein herziger Typ mit Baseball-Kappe und Flecktarnjacke, nickt ihnen müde zu – er kann nicht mehr. Er hat schon zig Hände geschüttelt, an zig Tassen genippt und ist weit hinter das Soundsystem zurückgefallen.

„Heute sind so viele Leute gekommen, nur weil wir zu einer Karawane aufgerufen haben, und sie laufen immer noch mit. Da kann ich nicht einfach in mein Auto steigen und das letzte Stück fahren. Ich muss mit gutem Beispiel vorangehen, auch wenn ich müde bin.“

Simon hat die Bewegung „Y’en a Marre“ 2011 mitgegründet, mit dem Hip-Hop-Trio „Keur Gui“ und drei Journalisten. Damals ging es vor allem gegen die ständigen Stromausfälle und die Korruption im Senegal. Doch die Initiative ist nicht nur „dagegen“: Sie fordert auch mehr Engagement von den Bürgern – und stellt Verhaltensregeln für den „nouveau type de sénégalais“ auf, einen neuen Typus von Senegalesen:

„Wir verlangen von den Menschen, dass sie sich ihrer Macht als Bürger bewusst werden und am 24. Februar wählen. Dass sie sich an die Arbeit machen und aufhören, zu reden. Dass sie zu einem Treffen, das für 15 Uhr vereinbart ist, nicht erst um 17 Uhr erscheinen. Wir müssen uns an Termine und an unsere Versprechen halten. Sonst können wir das auch nicht von unseren Politikern verlangen.“

„Auf der ganzen Welt haben die Jugendlichen genug“

Viele halten es für Quatsch, deshalb gleich von einem „neuen Typus von Senegalesen“ zu sprechen. Und fragen sich, warum „Y’en a Marre“ nicht selbst in die Politik einsteigt, wie Podemos in Spanien. Doch so einfach ist das nicht, erklärt Simon. Denn „Y’en a Marre“ hat sich vorgenommen, nicht nur die Regierung zu kritisieren, sondern die Militär- und Verwaltungsstrukturen aufzulösen, die den Alleinherrscher an der Macht halten, wie in vielen afrikanischen Staaten.

„Die Jugendlichen von heute finden sich im politischen System und in den Parteien nicht wieder. ‚Y’en a Marre‘ hat sie dazu gebracht, über neue Formen von Politik nachzudenken – und junge Leute in ganz Afrika inspiriert zum Beispiel die Initiative ‚Lucha‘ im Kongo oder ‚Ballai Citoyen‘ in Burkina Faso. Auf der ganzen Welt haben die Jugendlichen genug von den Dinosauriern. Deshalb wurde in Frankreich Macron gewählt und in Kanada Trudeau. Die Zeit ist reif für einen Wechsel – und die jungen Leute sind dabei, die Zügel an sich zu reißen.“


Die Recherche wurde von der Robert Bosch Stiftung im Rahmen des Projektes „Journalism in a Global Context“ gefördert.

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