Hörfunksendungen vermitteln mündlich Wissen, die Themen sind z.B. Gesundheitserziehung oder Berufsfortbildung. Die Sender dienen sozialen Netzwerken von Frauenorganisationen, Gewerkschaften, lokalen Initiativen und Kirchen oder religiösen Minderheiten als Sprachrohr.
Das Radio als die wichtigste, billigste und effektivste Informationsquelle hat ein weites Verbreitungsgebiet und ist mit einfachem technischem Aufwand und geringen finanziellen Mitteln zu produzieren. Arme Afrikaner können gemeinschaftlich Radiosendungen hören, es fallen keine Gebühren an. Transportable, batteriebetriebene Radios werden in Dörfern oft kollektiv erworben und genutzt. Der Ethnologe Nigel Barley schreibt mit typischem britischem Humor in seinem Buch „Traumatische Tropen“ über den Geräuschpegel in Afrika: „Dass die Menschen aus dem Westen es vorziehen, in aller Stille herumzuschleichen, wo sie sich doch Batterien leisten könnten, um ihr Radio Tag und Nacht laufen zu lassen, ruft bei Afrikanern ehrliche Verblüffung hervor.“
Das Radio hat den Vorteil, auch in lokalen Sprachen zu senden. Örtliche Rundfunkstationen sind in abgelegenen Regionen oft die einzige Informationsquelle. Deshalb stammen die Programme, anders als Fernsehprogramme, überwiegend aus nationalen Produktionen. Besonders in Westafrika gibt es private regionale Sender.
Auswandern oder bleiben?
Die Deutsche Welle (DW) nutzt die weite Verbreitung und Popularität des Hörfunks und hat im Mai 2017 in Abidjan, der Hauptstadt der Côte d’Ivoire, mit einem lokalen Sender zu einer Debatte über Fluchtursachen, illegale Migration und Bleibeperspektiven eingeladen. Junge Afrikaner schilderten ihre lebensgefährlichen Erfahrungen beim Versuch, über Libyen nach Europa zu gelangen. Andere erzählten, dass Menschen, die es nach Frankreich oder Italien geschafft hätten, nicht die Wahrheit über die Lebensbedingungen für illegale Einwanderer schilderten. So lebe der Mythos „Eldorado Europa“ in den Köpfen der Menschen weiter. Der Soziologe Rodrigue Koné bedauerte, dass handwerkliche oder landwirtschaftliche Berufe in den Gesellschaften Afrikas nicht mehr angesehen seien und eine vermeintliche bessere berufliche Perspektive die Auswanderungswelle nach Europa mit begründete. Bereits Ende 2016 hatte die DW mit Partnersendern Diskussionen in Dakar (Senegal), Bamako (Mali), Niamey (Niger) veranstaltet. Im Rahmen des DW-Projekts „Dilemma Migration“ finden in diesem Jahr vier weitere Debatten in Banjul (Gambia), in Jos (Nigeria), Accra (Ghana) und Conakry (Guinea) statt.
In einigen Ländern Afrikas gibt es einen besonderen Landfunk. In Sendungen für Landwirte wird ihre Sprache gesprochen und sie kommen auch selbst zu Wort. Diese Radiostationen haben eine Ausbildungsfunktion. Landwirte, die weder lesen noch schreiben können, erfahren dort etwas über neue Techniken, die von denen ihrer Eltern oder Großeltern abweichen. Sie können effizientere Alternativen lernen. Gesprochen wird beispielsweise über die Ursachen der Nachernteverluste wie unsachgemäße Lagerung, Vernachlässigung der Hygienestandards, Feuchtigkeit und Schädlingsbefall.
Friedliches Zusammenleben
Die malische „Association des Jeunes de Nara pour la Paix et la Réconciliation“ wirbt an der Grenze von Mali zu Mauretanien über lokale Sender in Nara und Timbuktu – mit einem Einzugsgebiet von 30.000 und 50.000 Hörern – wöchentlich in einstündigen Sendungen in den Sprachen Bambara, Soninké und Maurisch für Toleranz und ein friedliches Zusammenleben. Auch Fragen zu Gesundheit, Ausbildung, Alphabetisierung werden beantwortet. Da aus dieser Region besonders viele Migranten stammen und viele von ihnen im Mittelmeer ertrinken, werden auch die hochriskanten Folgen von Flucht thematisiert. Solche Sendungen sind in Afrika ein effizientes Informationsinstrument.
Auch in Uganda gibt es einen Friedensjournalismus. Die Radiostation Mega FM in Gulu sendet Informationen über Konflikte und mögliche Lösungen für Frieden in der Region. „Radio Pacis“ im krisenreichen Norden sendet rund um die Uhr. Seine Reichweite geht bis in den Südsudan und Kongo. „Radio Pacis“ thematisiert Konfliktursachen und lässt Betroffene zu Wort kommen. Die Sendungen stärken christliche und muslimische friedliche Werte. Missio München fördert diese Sendungen seit Jahren. Daraus resultierende Diskussionen sollen helfen Spannungen abzubauen.
Zeitungen sind für die breite Masse oft zu teuer, und sie sind vorwiegend auf die Haupt- und Provinzstädte beschränkt. Außerdem gibt es, wie gesagt, noch viele Analphabeten. Fernsehstationen wurden schon in 1960ern gegründet, aber ihr Sendebereich ist in der Regel auf städtische Zentren begrenzt. Nur wenige Afrikaner haben einen Fernseher, denn TV-Geräte werden importiert, sind teuer und wegen der häufigen Stromschwankungen störanfällig. Außerdem sind sie abhängig von der Elektrizitätsversorgung. Und: Fast überall werden die Sender staatlich gegängelt und kontrolliert. Der Eigenanteil der Produktionen ist, abgesehen von den Hauptnachrichten, mit maximal 30 Prozent gering. Der Rest wird vom Ausland (Europa, USA, China, aber auch Nigeria und Südafrika) zugeliefert.
Misstrauen gegen staatliche Sender
Anders der dezentrale Rundfunk, nämlich Gemeinde- oder Vereinsradios, die auch mit internationaler Geberförderung errichtet wurden oder Piratensender, bei denen Eigenproduktionen überwiegen. Fast alle Stationen finanzieren sich auch durch Werbung. Es sei noch einmal betont, dass die unabhängigen Radiostationen, die in Lokalsprache senden, es den Menschen ermöglichen, an öffentlichen Diskussionen und Meinungsbildung teilzuhaben. Denn ein Großteil der Menschen in Afrika versteht die Amtssprache nicht. Versteht nicht Französisch oder Englisch, Portugiesisch oder Spanisch, versteht nicht die Sprache, in der das Land regiert wird! Das Radio ist daher sehr populär.
Mangels Flächendeckung der unabhängigen TV- und Radiosender sind auch die Städter auf Nachrichten angewiesen, die BBC Africa, Radio France International (RFI) und Voice of America rund um die Uhr bieten. Zumindest BBC und RFI haben in jedem Land eigene Korrespondenten. Die Afrikaner, die ich kenne, vertrauen, was Nachrichten betrifft, den Auslandssendern. Regierungsmedien sind quälend langweilig. Journalisten dieser Medien sehen sich als Sprachrohr politischer Führungsfiguren. Informationsbeschaffung erfolgt über Pressekonferenzen. Eigenständig gesetzte Themen und Recherchen sind selten beziehungsweise unerwünscht. Sender werden als Propagandainstrument missbraucht und fungieren nur als Sprachrohr des jeweiligen Präsidenten, täglich werden seine Dorfbesuche zum Aufmacher einer Radio- oder TV-Sendung. Anschließend kommen Lobgesänge und Huldigungsreden der Minister. Dabei muss man wissen, dass diese Minister in der Regel auch erst aus dem Radio erfahren, dass sie ernannt beziehungsweise abgesetzt wurden.
Bei jedem Staatsstreich werden zuallererst die Radiostationen besetzt.
Volker Seitz