Flüchtlingskrise I: Diskussion über Schleuser als Ablenkung?

Seenotrettung im Mittelmeer; Foto: ©Bundeswehr/Alexander Gottschalk

Tangang Meli Loumgam

Dass die europäische Grenzschutzagentur Frontex mit der Triton-Mission gestärkt wurde, ist nichts Neues. Immer dann wenn die EU unter Migrationsdruck gerät, ist meistens die erste sichtbare Reaktion darauf die Aufwertung von Frontex. Das heißt nichts anderes als die Abschottung flankiert durch Maßnahmen, die ihr einen humanitären Hauch verleihen sollen. Ganz abgesehen davon, dass die Möglichkeiten von Triton sehr begrenzt sind, stellt diese Mission nur eine Notlösung dar.
Die Triton-Mission mag viele Leben gerettet haben, aber sie kann nicht verhindern, dass sich das Mittelmeer für viele Hilfesuchende in einen maritimen Friedhof verwandelt hat. In der ersten Hälfte von 2015 hatten dort laut Zahlen der IOM mehr als 1750 Menschen ihr Leben verloren.

In der Auseinandersetzung mit dieser Problematik nimmt das Thema Schleusertum einen zu großen Raum ein und lenkt damit vom Kern des Problems ab. Nach dem Be-dauern werden gleich danach die Schleuser verurteilt und man gewinnt den Eindruck, dass sie die Hauptverantwortlichen sind. Die Diskussion geht sogar soweit, dass ein militärische Intervention mit UN-Mandat angestrebt wird. Aber sind sie wirklich das Problem?

Die Schleuser mögen skrupellose Kriminelle und keine Helfer sein, aber viele Asylsuchende verdanken ihnen ihr Leben und sind ihnen auch dankbar. Auch angesichts der vielen Tragödien sind Hilfesuchende bereit, den Schleusern alles zu geben, um dem Elend zu entkommen. Dabei nehmen sie den Tod in Kauf. Diese Menschen nehmen Schleuser anders wahr als andere. Nämlich als einzige Chance auf ein besseres Leben oder gar Überleben. Schleusertum zu bekämpfen ist eine Sache, aber keine Antwort auf die Not der Menschen. Damit machen es sich die Verantwortlichen zu einfach. Wenn die EU es ernst meint mit humanitärer Verantwortung, dann muss sie diesen Menschen echte Alternative anbieten.
Dazu gibt es zwei sich ergänzende Möglichkeiten. Auf der einen Seite muss die EU legale und sichere Fluchtwege nach Europa schaffen. Auf der anderen Seite muss sie ihre regionale Schutzprogramme ernsthaft auf-stocken, um die örtliche bzw. regionale Integration oder die Neuansiedlung zu erleichtern. Diese Maßnahmen müssen mit-tel- und langfristige Perspektiven anbieten können und keine kurzfristigen Übergangslösungen darstellen. Ein Kampf gegen Schleuser ohne echte Alternative für Hilfe-suchende ist de facto ein Kampf gegen Hilfesuchende.

Eine andere Debatte, die geführt werden muss, betrifft die europäische Verantwortung für die Krisen- und Armutssituation in den Herkunftsländern. Es ist erstaunlich zu sehen, welche unbedeutende Rolle die Folgen westlicher Politik auf Herkunftsländer in politischen Auseinandersetzungen spielen. Insbesondere die Relevanz von geostrategischen bzw. geopolitischen Interessen werden bestenfalls den Verschwörungstheoretikern überlassen.

Diese Interessen sind aber Teil der Außen-politik jedes verantwortungsvollen Staates, wobei solche Interessen nicht immer mit demokratischen oder moralischen Sonntagsre-den im Einklang stehen. Sind die Bürger und Bürgerinnen in den westlichen Ländern naiv oder sie wollen es nicht so genau wissen?Allen müsste klar sein, dass zum Beispiel Botschaften und Geheimdienste unter anderem auch die Aufgabe haben, Veränderungsprozesse in Gang zu setzen oder diese so zu beeinflussen, dass eigene wirtschaftliche und geopolitische Interessen gewahrt bleiben. Dabei werden nicht selten die oft propagierten ethischen Werten geopfert.

Die meisten Krisenherden in der Welt können wir nicht umfassend verstehen, wenn wir diese Dimension ignorieren oder ausblenden. Für den Libyen-Krieg, der als Ausgangspunkt oder Katalysator für viele Krisen gilt, trägt auch die EU (allen voran Frankreich) eine Mitschuld. Eine andere Politik mit wenig schwerwiegenden Folgen wäre möglich gewesen.

Tangang Meli Loumgam

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Migration

About Meli Tangang

Tangang Meli Loumgam hat Politikwissenschaft, Soziologie und Philosophie an der Universität Würzburg studiert. Er ist unter anderen Migrationsexperte insbesondere für Fragen rund um das Themenkomplex Migration und Entwicklung (Rolle der Diaspora). Er ist Autor zahlreiche Beiträge wie zum Beispiel das Essay„Plaidoyer pour un terme générique désignant la haine et les préjugés à l’égard des Noirs: l’Afrophobie“ (2013 erschienen auf www.africa-and-sciences.com) oder der Buchbeitrag „Organisations de la diaspora camerounaise: Vue d’ensemble et quelques pistes de gouvernance“ (2015 erschienen in Alain Nkoyock (Hg.): „Diaspora camerounaise - En dehors de l‘ État, au sein de la Nation“ Kiyikaat Editions.